Es gibt wohl kaum ein Thema, das derzeit so sehr die Medien und die öffentliche Meinung beherrscht wie die "Zwickauer Terrorzelle" und die Auseinandersetzung mit dem rechten Gedankengut. Politische Kommentatoren überbieten sich mit ihren Einschätzungen, Soziologen und Meinungsforscher liefern eine Erklärung nach der anderen ab, Volkes Meinung wird auch frei heraus gesagt. Es gibt Geistliche, die sich im Kampf gegen den braunen Sumpf selbst auf rechtsstaatlich dünnem Eis bewegen, Politiker, die sowieso schon alles immer besser gewusst haben, und Behörden, die sich gegenseitig die Schuld zuschieben (wobei zugegebenermaßen da einiges sehr unklar ist). Und im gesamten Blätterwald und den öffentlichen Diskussionen wird ein mögliches NPD-Verbotsverfahren von vorn bis hinten durchdiskutiert.
Zu letzterem habe ich natürlich auch eine Meinung. Und ich muss nun ziemlich vorsichtig schreiben, denn meine Meinung wird vielen sicherlich nicht gefallen.
Dass gegen Neonazis etwas getan werden muss, steht für mich außer Frage. Ich habe aber große Zweifel, ob ein Verbotsverfahren der richtige Weg ist, egal wie es ausgeht.
Nehmen wir zum Beispiel mal an, es misslingt. Das würde meiner Meinung nach den komplett gegenteiligen Effekt hervorrufen: Die NPD würde auf einer Welle des Erfolges schwimmen, sie hätte den Rechtsstaat, gegen den sie sich richtet, mit seinen eigenen Waffen geschlagen, und ihre Gegner hätten sie, um das "Phrasenschwein" zu bedienen, "berühmt geschossen". Das kann nicht im Sinne des Erfinders sein!
Nun mag man ja einwenden: Dann ist was faul im Staat, wenn die damit durchkommen (aus welchem Grund auch immer), dann muss man eben die Regeln sprich Gesetze ändern. Das sehe ich nicht so. Es ist schon viel diskutiert wurden, ob die Gesetze in diesem Land ausreichen oder ob sie zu lasch sind. Wenn man sie jedoch verschärft, dann bedeutet das auch, dass sich das gegen ALLE richtet! Eine schärfere Überwachung der einen Bevölkerungsgruppe zieht automatisch auch die Überwachung einer anderen nach sich. Wer will die Grenze ziehen? Und wo?
Vor einigen Tagen las ich ein Umfrageergebnis, das sich meiner Meinung nach gegenseitig ausschließt. Die Deutschen wünschen sich zum einen größere persönliche Freiheit, andererseits größere Sicherheit, die durch strengere Regeln hervorgebracht werden soll. Wer aber will, dass Regeln eingehalten werden, muss auch damit leben, dass das überwacht wird. Und jede Überwachung ist ein Eingriff in persönliche Freiheit (bestes Beispiel: Verkehrsüberwachung). Und wohin schärfere Überwachung führen kann, haben gerade die Deutschen immer wieder erlebt.
Zurück zur NPD. Zweite Möglichkeit eines Verbotsverfahrens: Es gelingt, die NPD wird verboten. Ist damit alles Friede, Freude, Eierkuchen? Ich glaube nicht. Die Geschichte hat uns gelehrt, das oft genug die einstig Verbotenen und Weggeschlossenen ein paar Jahre später die Sieger und Gewinner waren. Und zwar im Guten wie im Schlechten. Die meisten kommunistischen Staatsführer des 20. Jahrhunderts haben irgendwann mal gesessen, ihre Organisationen waren verboten. Gleiches erlebte Lech Walesa und seine Solidarnosc in Polen oder der ANC in Südafrika. Selbst in der Gegenwart in Deutschland zeigt sich, dass ein Verbot nicht unbedingt von Erfolg gekrönt ist. Sogar der frühere brandenburgische Innenminister Jörg Schönbohm, der nun wirklich nicht verdächtig ist, ein glühender Verfolger der Rechten gewesen zu sein, hat in seiner Amtszeit die eine oder andere neonazistische Vereinigung verboten. Hat's was gebracht? Nein. Die Typen sind irgendwo immer noch aktiv, und auf die Szene war der Einfluss minimal. Im Gegenteil: Ich befürchte, bei einem erfolgreichen Verbot treibt es die radikalen Elemente erst recht in den Untergrund - und was da angerichtet werden kann, erleben wir gerade.
Und dann nicht zuletzt: Was ändert ein Verbot? Nichts! Das Grundproblem wird damit nicht angepackt, und das heißt: Wieso wird einer rechtsextrem und lässt sich sogar zu Morden hinreißen? Kein einziger der "Zwickauer Terrorzelle" kam auf die Welt mit dem vorgezeichneten Schicksal, dereinst Ausländer umzubringen. Sie wurden dazu. Und da muss man anpacken! Und zwar überall, nicht nur bei den "Problemgruppen".
Es ist eine gewagte These, die sicherlich Widerspruch erzeugt, aber ich meine, wir haben in Deutschland (aber auch in aller Welt) eine latente Fremdenfeindlichkeit, die sich durch alle Schichten der Gesellschaft zieht - selbst bei denen, die abstreiten würden, fremdenfeindlich zu sein. Aber seien wir doch mal ehrlich: Wie viele benutzen zum Beispiel, wenn sie über Vietnamesen reden, das Wort "Fidschi"? Es ist eine fremdenfeindliche Bezeichnung, selbst wenn man sie niemals so meint, aber es beleidigt und würdigt herab. Das Wort verwenden sogar Gutsituierte. Oder auch die vielen Vorurteile, die schon beinahe Allgemeingut sind: Restaurants, die von Südosteuropäern geführt werden, sind Geldwäsche-Institute. Die Russen sind alle bei der Mafia. Franzosen sind "Froschfresser", Holländer können nicht Autofahren, die Italiener sind nur hinter den Frauen her, Afrikaner alles Asylbetrüger. Wie sollen denn bitte schön unsere Kinder Toleranz lernen und leben, wenn sie ständig Witze über Auto klauende Polen hören - und das von Leuten, die mit den Rechten aber so gar nichts am Hut haben?
Es läuft einiges schief in unserer Gesellschaft, das solche Entwicklungen fördert und den Rechten Zulauf gewährt. Es ist aber nicht nur die Schuld oder das Versagen des Staates, das dazu führt. Das hat jeder selbst in der Hand. Die meisten, die sich heute als rechtsradikal bezeichnen, hatten irgendwann die Wahl, sich für eine Seite zu entscheiden, für eine Gruppe und Gemeinschaft, die ihnen Halt gibt. Bei vielen waren das die Rechten - die hatten einfache Antworten auf viele Probleme (dass die Antworten falsch sind, haben die Kids nie gelernt - die, die es ihnen hätten sagen sollen, taten es nicht, und die, die es taten, denen glaubten sie nicht). Vor Jahren fragte ich meinen Onkel, der in Mecklenburg-Vorpommern lebte, warum die Rechten da so groß im Kommen waren. Er sagte: "Das sind die, die in den Dörfern, wo sich sonst keiner dafür interessiert, für Oma Schmidt einkaufen, ihr das Dach vom Kaninchenstall decken, in den Fußballvereinen die Kinder trainieren und einfach da sind." Auf diesem Wege kriegt man die, denen es eigentlich egal ist, Hauptsache es ist jemand für sie da und sie können irgendwo dazu gehören.
Da muss man ansetzen! Und ich denke sogar, dass es hier nicht der Staat sein kann! Toleranz mit anderen kann man nicht verordnen oder anweisen, dass das nicht funktioniert, zeigt gerade der Osten der Republik, wo die Rechten einen Zulauf haben wie sonst kaum, obwohl die Menschen hier jahrzehntelang mit Solidarität, Völkerfreundschaft und noch mehr geradezu zugeschüttet wurden! Es hilft auch nicht, wenn Vater Staat anordnet, man darf nicht mehr "Neger" oder "Farbige" oder "Zigeuner" so sagen, sondern man muss politisch korrekte Beschreibungen wählen! So etwas kann man nicht anweisen - man muss es vorleben.
Wenn ich ein Patentrezept wüsste, eines, das auch funktioniert, ich könnte wohl sehr erfolgreich werden. Aber ich weiß auch keines. Ich weiß nur eines: Man muss versuchen, anständig zu leben, für sich, aber auch für andere. Man muss den anderen vorleben, wie es richtig ist, gerade den Kindern. Verbote nutzen meiner Meinung nach nicht. Verbote machen das Verbotene erst recht interessant. Ich glaube, das würde auch bei einem NPD-Verbot geschehen. Eine Partei, die vom bösen Staat, der sowieso für alles Schlechte verantwortlich ist, verboten wird, ist sicherlich irgendwo sehr interessant - oder?
Wenn es gelingt, zu zeigen, wie falsch und verderblich der Weg der NPD, der Nationalsozialisten, der Rechten und der Braunen ist - der Spuk würde schnell verschwinden. Das kann aber nicht nur der Staat mit Verboten und Hochglanzbroschüren und angewiesenen Projekten tun - das muss in jedem selbst wachsen. Ein Anfang wäre, wenn jeder genau überlegt, ob er statt "Vietnamese" nun "Fidschi" sagt und warum.
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