Dienstag, 18. September 2012

Ein Staubkorn in der Unendlichkeit

Ich hatte im Blog schon einmal über faszinierende Bilder geschrieben. Der heutige Post ist so ähnlich. Die Bilder sind auch so ähnlich, aber sie machen mich auch zutiefst nachdenklich und, ja, durchaus auch demütig. Wenigstens zwei der Bilder sollten euch auch bekannt sein. Das dritte kennen vermutlich nicht viele, dabei ist es eines der faszinierendsten Bilder, die es gibt. Das merkt man nicht sofort, aber ich werde das noch erklären und ich hoffe, ihr lasst euch auf die Gedanken ein, die es bei mir verursacht. Auf geht's:

Earthrise (© NASA)
Am 24. Dezember 1968 umkreisten die US-amerikanischen Astronauten Frank Borman, William Anders und James Lovell als erste Menschen mit Apollo 8 den Mond. Obwohl Weihnachten war, hatten die Raumfahrer einen engen Arbeitsplan mit Mondbeobachtungen und Experimenten. Und plötzlich rief Bowman: "Oh mein Gott! Seht euch dieses Bild da an! Hier geht die Erde auf! Ist das schön!" Borman griff zur Kamera, um diesen Anblick zu fotografieren, und Bill Anders machte noch einen Witz: "Nicht fotografieren! Das steht nicht im Plan!" Aber natürlich fotografierte Frank Borman, zuerst in Schwarz-Weiß und dann noch einmal in Farbe. Dieses Bild, "Earthrise", ist eines der berühmtesten Fotos der Geschichte überhaupt geworden.

Borman, Lovell und Anders waren die ersten Menschen überhaupt, die diesen Anblick gesehen haben. Einen Erdaufgang sieht man nur in einem Raumschiff, das den Mond umkreist. Und es kehrt die gesamte Erfahrungswelt eines Menschen um. Von der Erde sieht man den Mond oder die Sonne jeden Tag und jede Nacht auf- und untergehen. Es ist ein gewohnter Anblick, man denkt nicht darüber nach. Man steht mit beiden Beinen fest auf der Erde, und selbst die Raumfahrer in der Erdumlaufbahn haben als festen Bezugspunkt immer den gewaltigen Erdglobus in Sichtweite.

Hier nicht. Die Erde steigt klein, winzig, zerbrechlich über dem Mondhorizont auf. Die feste Basis ist der Mond, die Erde erscheint fremd. Das Bild ist ein guter Ausdruck dessen, was die ersten Astronauten oder Kosmonauten bei ihren Raumflügen erfuhren: Die Erkenntnis, dass die Erde ein besonderer, einzigartiger Himmelskörper ist. Diese Erkenntnis ist um so bemerkenswerter, als dass alle diese Raumfahrer so gut wie ohne Ausnahme einen militärischen Hintergrund hatten, dass sie Soldaten waren. Eugene Cernan, der bislang letzte Mensch auf dem Mond, fasste diese Erkenntnis so zusammen: "Wir zogen los, den Mond zu erforschen. Tatsächlich entdeckten wir die Erde." Sein russischer Kollege Alexej Leonow beschriebt es so: "Die Erde war so klein, so blau und rührend einsam - unsere Heimstatt, die wir beschützen müssen wie eine heilige Reliquie."

The Blue Marble (© NASA)
Dazu passt das rechts stehende Foto, fast genau vier Jahre nach "Earthrise" entstanden, am 7. Dezember 1972 an Bord von Apollo 17. Auch dies ist ein einzigartiges Bild: Es ist die einzige Fotografie während der Apollo-Raumflüge, dass eine "Vollerde" zeigt, also eine komplett beleuchtete Erde (Apollo 17 war die einzige Mondlandemission, die beinahe bei Neumond startete). Man nennt dieses Bild "Blue Marble". Bis heute entstanden viele andere Bilder, die die Erde so oder ähnlich zeigen, aber dies war das erste. Zum ersten Mal haben zuerst die Apollo-17-Astronauten und dann alle Menschen auf der Welt die ganze Erde in ihrer Schönheit gesehen, in ihrer Zerbrechlichkeit, in ihrer Einzigartigkeit.

Das Bild zeigt aber noch etwas anderes. Es macht deutlich, wie unwichtig viele unserer irdischen Angelegenheiten sind, wie bedeutungslos eigentlich vieles von dem ist, was wir Menschen in unserer Anmaßung und Selbstüberschätzung für so wichtig halten. Der saudi-arabische Astronaut Sultan bin Salman al Saud beschrieb seinen Eindruck so: "Am ersten Tag zeigten wir alle auf unsere Länder. Den dritten und vierten Tag zeigten wir auf unsere Kontinente. Am fünften Tag waren wir uns nur noch einer Erde bewusst." James Lovell sagte: "Die Menschen auf der Erde begreifen nicht, was sie besitzen. Vielleicht, weil nicht viele von ihnen Gelegenheit haben, sie zu verlassen und dann zurück zu kehren." Und Mohammed Farres sagte nach seinem Raumflug: "Ich sah die Erde vom Weltraum aus. Sie war wunderschön, alle nationalen Ländergrenzen waren verschwunden."

Das letzte Zitat ist um so bemerkenswerter, als dass Farres Syrer ist. Syrien, das Land, in dem Bürgerkrieg herrscht. Und das ist nicht das einzige Schlimme und Dumme auf der Welt.

Menschen bringen andere Menschen um, weil sie an einen anderen Gott glauben. Mädchen werden grausam verstümmelt, weil alte Männer in ihrer Anmaßung das so wollen. In China herrschen Parteifunktionäre wie Kaiser über das Volk und lassen sich nicht einmal dadurch stören, wenn sie erwischt werden. In Afrika verhungern Millionen Menschen, und in Europa ist schon Milch in den Gulli gegossen worden, weil die Bauern nicht genug Geld dafür bekommen haben. Dumme Ignoranten haben nicht Besseres zu tun, als einen Film zu machen, der eine Religion beleidigt, obwohl sie wissen, wie diese Provokation auf die Gläubigen dort wirkt. Dumme Religionsfanatiker wiederum sind nicht in der Lage, eine andere Meinung anzuerkennen, sondern morden und töten sogar Unschuldige, die sagen, was sie denken.

Und das alles geschieht auf unserer Erde, diesem einzigartigen, besonderen, kleinen blauen Planeten, der oben zu sehen ist. Wenn ich mir diese Bilder betrachte, denke ich darüber nach, wieso all dieses Irrsinnige, diese Schlimme auf dieser einen Welt geschehen kann. Wie ist das möglich? Sind wir tatsächlich so besonders, so einzigartig, so fantastisch, wie diese Bilder dort oben suggerieren? Oder muss man diesen Schwachsinn, diese Anmaßung vielleicht einmal gerade rücken?

Ich habe meine Antwort auf diese Frage gefunden. Sie steckt in dem Foto, das ich gleich unten zeigen werde. Und ich lade euch ein, meinen Gedanken dazu zu folgen. Alles was ihr dafür tun müsst, ist das Bild in Ruhe anzusehen und zu versuchen zu verstehen, was es zeigt. Aber erst zur Entstehung des Bildes.

Am 5. September 1977 startete die Raumsonde Voyager auf ihre lange Reise ins All. Voyager 1 flog am Jupiter und Saturn vorbei, danach begann der einsame Weg in die Unendlichkeit. Zurzeit ist sie 18 Milliarden Kilometer von der Sonne entfernt, drei Mal so weit wie der entfernteste Planet des Sonnensystems. In etwa 40.000 Jahren wird Voyager am nächsten Stern vorbei fliegen, in 300.000 Jahren dann am Sirius. Bis heute schickt Voyager 1 noch Daten zur Erde, allerdings keine Fotos mehr. Es gibt dort draußen nichts mehr, was Voyager noch fotografieren kann. Die Kamera wurde bereits 1990 abgeschaltet.

Zuvor machte Voyager 1 aber noch eine letzte Serie von Aufnahmen. Auf Anregung des Astronomen und Autoren Carl Sagan wurde die Sonde gedreht und sah sozusagen nach hinten. Insgesamt wurden 60 Aufnahmen gemacht, die das gesamte Sonnensystem aus einer Entfernung von sechs Milliarden Kilometern zeigt, das so genannte "Familienporträt". Die Funksignale mit den Daten der Bilder waren fünfeinhalb Stunden unterwegs, ehe sie die Erde erreichten.

Auf einem dieser 60 Bilder ist die Erde abgebildet. Das Bild heißt "Pale Blue Dot" (auf deutsch "hellblauer Punkt"). Hier ist es.

"Pale Blue Dot" (© NASA)

Das sind wir...

Seht es euch an, seht es euch in Ruhe an, denkt darüber nach: Dieser winzige kleine Punkt, dieses kaum sichtbare Staubkorn im Universum, das ist die Erde, das ist unsere Heimat.

Mehr nicht.

Ich habe das Bild lange angesehen und finde, dass es bei genauer Betrachtung unseren Platz, unsere Stellung im Universum gerade rückt, uns an die richtige Stelle der Schöpfung schiebt. Ich habe viel darüber nachgedacht, und mehr und mehr Gedanken schossen durch meinen Kopf. Dann fand ich eine Textpassage von Carl Sagan, den dieses Bild zu einem ganzen Buch inspirierte. Es waren die gleichen Gedanken, die auch mich bewegten, nur viel schöner geschrieben. Ich bin daher so frei, hier Carl Sagan zu zitieren (ich habe den Text selber übersetzt, daher verzeiht, wenn es vielleicht etwas holprig klingt):

"Aus diesem entfernten Blickwinkel aus gesehen scheint die Erde nicht besonders interessant zu sein. Aber für uns ist das anders. Betrachten Sie diesen Punkt noch einmal. Das ist hier. Das ist zu Hause. Das sind wir. Jeder den Sie lieben, jeder den Sie kennen, jeder von dem Sie jemals gehört haben, jeder Mensch der jemals gelebt hat, lebte sein Leben auf diesem Punkt. Die Gesamtheit unserer Freuden und Leiden, tausende Religionen, Ideologien und ökonomische Systeme, jeder Jäger und Sammler, jeder Held und jeder Feigling, jeder Schöpfer und jeder Zerstörer von Zivilisationen, jeder König und jeder Bauer, jedes junge Liebespaar, jede Mutter, jeder Vater, jedes hoffnungsvolle Kind, jeder Erfinder und Entdecker, jeder Moralprediger und jeder korrupte Politiker, jeder "Superstar", jeder "Oberste Führer", jeder Heilige und jeder Sünder in der Geschichte der Menschheit lebte dort - auf diesem in einem Sonnenstrahl schwebenden Staubkörnchen.

... Unsere Anmaßung, unsere Selbstüberschätzung, die Wahnvorstellung, dass wir in diesem Universum einen besonderen Platz einnehmen, all das wird von diesem blassen Lichtpünktchen in Frage gestellt."

Das ist es. Das sind wir, ein Staubkorn in der Unendlichkeit. Und wenn ich das sehe, daran denke, dann kommen mir alle unsere Streitigkeiten, unsere Kriege und Kämpfe, unsere Intoleranz und unser Überlegenheitsdenken, unser Materialismus, unser Neid, unsere Bigotterie, unser Hass und unser Hang zur Selbstzerstörung so dumm, so unwichtig, so irrsinnig vor. Wird es das Universum stören, wenn es uns nicht mehr gibt? Es wird es nicht mal merken.

Und andererseits: Wenn ich mir überlege, wie wunderbar und fantastisch dieses winzige Pünktchen im All aus der Nähe betrachtet ist, welche Wunder es hier gibt und zu welchen Leistungen wir in der Lage sind, wenn wir es nur wollen, wenn wir Hautfarbe, Glaube und Herkunft mal vergessen - das ist doch etwas, wofür es sich lohnt, etwas zu tun, oder?

Frank Borman sagte nach seinem Mondflug: "Wenn du von dort oben auf die Erde zurückblickst, vermischen sich all die Unterschiede und nationalistischen Merkmale ziemlich schnell, und du fängst an darüber nachzudenken, dass das möglicherweise wirklich eine Welt ist und wieso zur Hölle wir eigentlich nicht lernen, wie vernünftige Menschen miteinander zu leben."

Das sollte jeder einmal überlegen.

1 Kommentar:

RoM hat gesagt…

Eines der unzähligen, unsäglichen Dogmen deklarierte einst, daß die Erde (die "Scheibe"!) im Mittelpunkt der Schöpfung stünde. Erstaunlich, daß solch bewiesene Erkenntnis-Inkompetenz nicht an weiterhin existenten Dogmen zu rütteln vermag.

All den weltweiten Engstirnen, die vermelden die absolute Wahrheit zu besitzen - ihr seid nicht bedeutender, als eine Flatulenz im Sonnenwind.