Ich wollte das gestern hier im Blog nicht auch noch reinschreiben, um nicht endgültig als Besserwisser zu gelten. Heute hole ich es nach, wenngleich aus anderen Gründen. Ich hatte gestern Abend nach dem verlorenen Halbfinalspiel gegen Italien schon die Vermutung gehabt, dass heute die ganzen Deutschland-Fahnen im Müll liegen würden. Tatsächlich habe ich nur zwei Autos heute gesehen, die noch in Schwarz-Rot-Gold durch die Gegend fuhren. Davor waren es hunderte gewesen.
Es ist also nicht weit her mit unserem Patriotismus und unserem Stolz bzw. der Verbundenheit mit der Nationalmannschaft. Nein, es ist sogar noch schlimmer: Wenn man sich in verschiedenen Meinungsseiten der Nachrichtenportale umschaut, dann kann einem übel werden, was da zu lesen ist.
Okay, es ist das gute Recht eines jeden Fans, Trainerentscheidungen zu kritisieren oder Spielerleistungen zu kommentieren. Aber was ich da teilweise gelesen habe, das krempelt einem Fußnägel hoch. Es fällt schwer, bei diesem Müll ruhig zu bleiben.
Da wird die halbe Mannschaft zu Versagern und Totalausfällen degradiert, die nichts richtig können. Da wird ein relativ harmloser und semantisch sogar gut geschriebener Kommentar von Franz Beckenbauer mit den Worten "Der soll mal seine Bayernfresse halten, von der Tribüne aus kann jeder klug reden" quittiert. Da wurde als Beweis, dass die deutsche Mannschaft nichts taugt, das Singen der Nationalhymne bzw. wer nicht mitgesungen hat genommen (PS: Es war die "Zuwandergeneration", stellten die wahren deutschen Fans fest; ich wollte das hier unbedingt anbringen...), was dann zum Umkehrschluss führte: "Alle, die nicht mitsingen, ab aus der Mannschaft!" Sowieso waren ja die Falschen in der Mannschaft und erst recht in der Startaufstellung - überbezahlte Nichtskönner ohne Herz und Leidenschaft. Und die Krone schoss dieser "Fan" ab: Auf die wenigen Einwände vernünftiger Leute, die meinten, das Halbfinale wäre doch ein toller Erfolg, ätzte dieser Schwachmat: "Es ist kein Ziel, unter die letzten vier zu kommen... Vielleicht für Kroatien... Wir sind dreifacher Weltmeister und dreifacher Europameister, denkt mal drüber nach."
Also da fällt mir ehrlich gesagt nur ein Antwort ein. "Wir? Wer ist wir? Du auch? Bestimmt nicht!" Es ist eine gewagte Hypothese, aber ich glaube nicht, dass ich weit daneben liege: Mindestens 98 Prozent, sehr wahrscheinlich sogar alle dieser arroganten, großmäuligen Besserwissers haben niemals höherklassiger als Verbandsliga gespielt, wenn überhaupt. Für die meisten besteht Fußball sicherlich nur aus Biertrinken am Spielfeldrand bzw. vor dem Fernseher und über die Leistungen der Spieler und Trainer zu lästern.
Was bitte schön ist denn schlecht daran, im Halbfinale der EM auszuscheiden? Eine der vier besten Mannschaften (oder wenn es um WM geht, eine der vier besten der Welt) zu sein, das ist eine Leistung, die man erst mal schaffen muss! Ich weiß, dass ich mit dieser Meinung immer wieder anecke, aber trotzdem: Ist von diesen Besserwissern schon mal einer Weltmeister gewesen? Oder Europameister? Hat überhaupt schon mal einer im internationalen Fußball gespielt? Oder in der Bundesliga (egal ob erste, zweite oder dritte)? Oder war bzw. ist wenigstens einer Trainer, dessen Mannschaft einen höherwertigen Titel errungen hat? Jeder, der nicht wenigsten einmal "Ja, ich!" sagen konnte, sollte meiner Meinung nach erst mal schön die Klappe halten und drei mal überlegen, was und vor allem wie er es sagt. Ich gestehe zu, dass die deutschen Spieler gestern nicht ihr Bestes gezeigt haben - aber selbst das war besser als das, was die meisten Kritiker an ihren besten Tagen nicht mal ansatzweise zustande bringen.
Und mal ehrlich: Auch wenn ich Beckenbauer und seine Meinungen auch nicht unbedingt mag, eines muss man ihm lassen. Er war Weltmeister, und streng genommen sogar zwei Mal, als Spieler 1974 und als Trainer (bzw. Teamchef) 1990. Ich glaube schon, dass ihm das das Recht gibt, eine Meinung zum Spiel zu haben und diese auch sagen zu dürfen - zumal er sie im Gegensatz zu vielen Möchtegern-Experten sogar höflich und nicht beleidigend oder gar rassistisch formulierte.
Ich gebe zu, dass auch ich einiges an der Leistung der deutschen Mannschaft kritisiert habe. Ich bin mir aber bewusst, dass ich nichts von dem leisten kann, was die Jungs auf dem grünen Rasen alles bringen. Und ich bin trotz allem auch stolz, dass sie unter die vier besten Mannschaften Europas kamen. Ein Haufen anderer Teams haben das nicht geschafft. Und ich stehe nicht auf dem Standpunkt, dass nur der erste Platz zählt und alles andere einer nationalen Tragödie ähnlich der Schlacht von Stalingrad nahe kommt. Wer so denkt, für den ist Fußball kein Sport, sondern Kriegsersatz. Einfach widerlich.
1 Kommentar:
Besagte Stammtisch-Humperei im Net wundert mich nicht über des Übliche. Die Projektionsfläche der eigenen Allmachtsträumchen hat nicht geliefert. Also wird sich schnell von den "Losern" distanziert, bevor Unflat auf einen selbst abfärben könnte. Ein rituelles Possenspiel.
Zeugnis der Empfehlbarkeit geistiger Updates.
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