Ich habe gestern den ersten Band der "Hyperion-Gesänge" ausgelesen. Wobei: Was heißt hier erster Band? Es sind im Prinzip vier Bücher, die ich in zwei Doppelbänden besitze. Den ersten der beiden legte ich gestern aus der Hand, um gleich zum zweiten zu greifen. 1.450 Seiten sind damit gelesen, ungefähr die gleiche Anzahl liegt noch einmal vor mir. Klingt nach einem schweren Klopper - aber es gibt nur wenige Bücher, bei denen mir das Lesen so viel Spaß macht und mich so bewegt wie hier.
Man muss die Klappen-Werbetexte nicht unbedingt immer für bare Münze nehmen. Da ich weiß, wie zum Beispiel viele Werbesprüche auf Filmplakaten entstehen, glaube ich sie auch nicht sofort und ohne eigene Überzeugung. Bei "Hyperion" kann ich im Nachhinein sagen, dass die Werbung aus meiner Sicht stimmt. Hier ließen die Verleger Horror-Papst Stephen King über das Buch und den Autoren sagen: "Dan Simmons schreibt wie ein Gott. Ich kann kaum sagen, wie sehr ich ihn beneide." Nun, ob King das wirklich so gemeint hat oder ob die Manager von ihm nur einen kernigen Spruch haben wollten, kann ich nicht beurteilen. Den ersten Satz unterschreibe ich aber sofort.
Wo soll man nur anfangen, dieses Buch (oder diese Bücher) zu beschreiben? Nun, es gibt ja den vielbenutzten Begriff der Space Opera. Der passt auf "Hyperion" auf jeden Fall, auch wenn gar nicht so viel im "Space" geschieht. Aber wenn man - so wie ich das tue - die "Space Opera" als ein großes, umfassendes und detailreiches Werk versteht, über das einer schlichten Erzählung mit einem einfachen Handlungsstrang hinausgehend und darüberhinaus überzeugend und mitreißend im Großen wie im Kleinen, dann ist "Hyperion" eine echte Space Opera im besten Sinne des Wortes.
Dan Simmons zeichnet nichts weiter als ein grandioses Bild einer Menschheit verstreut im All auf vielen verschiedenen Planeten im Angesicht vieler Bedrohungen und dunkler Geheimnisse. Das klingt schwülstig, aber mir fällt nichts besseres ein. Was das Buch dann wiederum so überzeugend und mitreißend und anrührend macht, ist die Tatsache, dass Simmons diese Geschehnisse in der Regel aus der Sicht einfacher Protagonisten zeichnet und dabei deren eigenes Schicksal fesselnd in diese übergreifenden Geschehnisse einbettet.
Das Ganze ist darüber hinaus überaus spannend und anspruchsvoll geschrieben. Wenn ich richtig gezählt habe, verwebt er zum Beispiel im Showdown des zweiten Buches "Der Fall von Hyperion" (das erste hat eigentlich kein echtes Finale; man muss sie alle schon zusammen lesen) fünf oder sechs verschiedene Handlungsabläufe an ebenso vielen verschiedenen Orten zu einem spannenden, mitreißenden Miteinander, das zumindest mich nicht nur so fesselt, dass ich das Buch an dieser Stelle immer noch nicht einfach aus der Hand legen kann, obwohl ich es schon drei Mal gelesen habe (nun vier Mal), sondern mich auch immer noch echt anrührt und bewegt...
Dazu kommen die skurrilen, fantastischen und dabei überzeugenden Einfälle, die bei Simmons auftauchen und die seine Schilderung der zukünftigen Welt so überzeugend machen. Bei Simmons gibt es zum Beispiel so etwas wie einen Überlichtantrieb. Er erklärt ihn nicht - aber er gibt ihm einen passenden und überzeugenden Namen: "Hawking-Antrieb". Er beschreibt ein zeitloses Transportsystem zwischen den Welten, ähnlich den "Stargates" aus der gleichnamigen Serie - und wie lässt er es nutzen? Unter anderem mit jener grandiosen Idee, die Superreichen Häuser haben zu lassen mit Zimmern auf verschiedenen Welten, die durch solche - und nur durch solche - Tore zu erreichen sind (an einer Stelle beschreibt er ein solches Haus, bei dem sich das Gäste-WC auf einem einsam treibenden Floß auf einer Wasserwelt ist - fantastisch!).
Faszinierend ist auch die Erzählweise. Immer wieder wechselt er den Stil, speziell im ersten Buch. Sechs Protagonisten berichten da von ihren Erlebnissen, und jede Erzählung hat einen anderen Stil (eine Story ist sogar wie eine Marlowe-Detektiv-Geschichte geschrieben). Eine Geschichte erinnert an den "seltsamen Fall des Benjamin Button", aber ungleich konsequenter, unerbittlicher und herzzerreißender. Knallharte Zweikampf-Action wechselt mit seitenlangen Philosophien über Religion ab - das muss man mal gelesen haben... Und eine der faszinierendsten Ideen - ich werde hier jetzt nicht schreiben, wie Simmons das praktisch gelöst hat - ist die Tatsache, dass ein wichtiger Protagonist beider Bücher ein romantischer Dichter des frühen 19. Jahrhunderts namens John Keats ist, obwohl die Geschichte etwa 1.000 Jahre in der Zukunft spielt (PS: keine Zeitreise!).
Ich glaube, ich habe hier schon wieder viel zu viel geschrieben. Aber vielleicht habe ich ein wenig Lust auf das Buch gemacht. Falls ja, habe ich nur eine einzige Empfehlung. Wenn ihr es aufgrund meiner Zeilen hier lesen wollt, dann bitte alle Bücher und auch in der Reihenfolge. Als ich es zum ersten Mal ganz gelesen hatte, fiel mir auf einmal auf, dass ich vor vielen Jahren das dritte schon einmal in den Händen hatte. Damals aus dem Zusammenhang gerissen, machte es wenig Eindruck auf mich. Das hat sich mittlerweile grundlegend geändert...
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