Mittwoch, 18. Juli 2012

Kurs auf Schiffbruch?

Also diese Meldung entbehrt nicht einer gewissen Ironie: Ausgerechnet die Piraten, die sich im Wesentlichen auf die Forderung nach absoluter Transparenz und umfassendem Informationszugang reduzieren lassen, sperren die Presse - wenigstens teilweise - von ihrem bevorstehenden Parteitag in Niedersachsen aus. Die Verfechter von unbedingter Offenheit, diejenigen, die den etablierten Parteien immer Hinterzimmerpolitik vorwarfen und dafür plädierten, die Öffentlichkeit an allen (!) Vorgängen teilhaben zu lassen, die die Öffentlichkeit im Allgemeinen interessiert, wollen die Presse als das umfassendste Organ der Informationsverbreitung bei der wichtigsten und bedeutendsten Veranstaltung einer Partei nicht dabei haben, wenigstens nicht ganz.

Ich finde das sehr amüsant: Die Entzauberung von Idealisten, die in der Realität ankommen und bemerken, dass zwischen Anspruch und Wirklichkeit ein ziemlicher Unterschied besteht...

Okay, ich habe jetzt ein wenig übertrieben. Aber bemerkenswert ist es doch. Denn wie hier zu lesen ist, geht es nicht wirklich darum, die Presse auszusperren. Sie soll schon da sein, berichten, Reden aufnehmen und so weiter. Durchaus also die Arbeit der Partei öffentlich machen. Aber: Es gibt Piraten, die wollen sich dabei nicht filmen oder fotografieren lassen. Sie sehen das als einen Eingriff in ihre Persönlichkeitsrechte an.

Nun widerspricht das meiner Meinung nach nicht nur der selbst gewählten Maxime der Piraten von absoluter Offenheit. Ich kann nicht diese Offenheit in der Politik mit markigen Sprüchen und flotten Aktionen verlangen und einfordern und anderseits sagen: "Aber für mich soll das nicht gelten." Zum anderen ist das ein Bruch des Presse- und des Kunsturhebergesetzes, die zurzeit die besten Instrumente des Landes sind, um das Recht auf freien Informationszugang und den Schutz der eigenen Persönlichkeit in Einklang zu bringen. Ganz einfach gesagt kann man einen wesentlichen Inhalt beider Gesetze in einem Satz bringen: Wen es in die Öffentlichkeit zieht, der muss in Kauf nehmen, dass die Öffentlichkeit davon Notiz nehmen kann, soll und wird.

Offensichtlich zeigt sich in dieser unglücklichen Aktion der Piraten aber eine meiner Meinung nach auch weit verbreitete Unart in unserer Gesellschaft: Wir setzen bei anderen andere und vor allem strengere Maßstäbe an als bei uns selbst. Oder anders gesagt: Die anderen sollen sich gefälligst so verhalten, wie ich das will, solange ich es nicht auch muss.

An sich ist das ein menschliches Verhalten und durchaus verständlich. Im Falle der Piraten gewinnt das alles aber eine pikante Note. Man ist genau damit angetreten und hat damit Wählerstimmen gesammelt, indem man gesagt hat, die bösen anderen Parteien machen alles im Geheimen und undemokratisch, aber bei uns kann jeder zugucken, alles erfahren und mitmachen. Und nun soll das auf eigenen Wunsch, der sogar noch öffentlich artikuliert wird, nicht mehr gelten? Peinlich...

Die Piraten entzaubern sich selbst, leisten sich eine Panne nach der anderen, rücken selber von ihren hohen Idealen an und sind irgendwie nicht in der Lage, die Hoffnungen zu erfüllen, die in sie zu Beginn gesetzt wurden. Fairerweise muss man zugeben, dass viele dieser Hoffnungen nicht durch die Piraten selbst geweckt wurden. Allerdings wurden sie auch nicht gedämpft.

Ich weiß ja nun nicht, wie es woanders ist. Ich kann nur darüber reden, was in der Berliner Presse über die Berliner Piraten steht, und das ist erbärmlich, wie ich finde. Statt mit parlamentarischer Arbeit beschäftigen sich die Berliner Piraten lieber mit sich selber, also ob man Lebensgefährten als persönliche Assistenten - und daher aus der öffentlichen Hand zu bezahlen - einstellen kann, darf und sollte oder nicht. Da stellt man Mitarbeiterinnen ein, die vielleicht gute administrative Arbeit leisten, aber auch der Meinung sind, es sei eine innere Einstellungssache und hat eine tiefere Bedeutung, ob man AIDS bekommt oder nicht. Da fällt man im Senat eher durch bunte Kleidung auf oder die Tatsache, dass man bei Ehrerbietungen oder Schweigeminuten Kopftücher oder Mützen oben lässt, als dadurch, ob man Anträge hat oder auch mal Vorschläge macht, die nicht nur mit der Offenlegung von Verträgen und Akten bzw. der Einbeziehung des Internets in die Demokratie zu tun haben.

Und wenn man bei der Haushaltsdebatte - der WICHTIGSTEN Debatte einer jeden parlamentarischen Arbeit - in die Bütt steigt, um Fußballergebnisse bekannt zu geben, dann spricht das nicht gerade dafür, sich ernsthaft und inhaltlich mit seiner Arbeit auseinanderzusetzen, für die man gewählt wurde und nebenbei gesagt auch nicht schlecht bezahlt wird. Nur mit Latzhosen und Kopftüchern aufzufallen bzw. die Frauenquote - ob berechtigt oder nicht - als "Tittenbonus" zu bezeichnen - das reicht nur für kurzes Aufsehen und Schlagzeilen in der Boulevardpresse. Für mehr nicht. Mehr bringen die Piraten aber auch zurzeit nicht, und meine Überzeugung steigt, dass es auch niemals mehr wird.

Das sieht übrigens auch Berlins Ex-Oberpirat Gerhard Anger so, der heute von der Wahl der Partei, deren Wahlkampf er organisiert hatte, abraten würde.

Schätze, die Piraten steuern auf einen veritablen Schiffbruch zu. Aber ich lasse mich gerne eines Besseren belehren.

Wer will, kann hier mal einiges etwas deutlicher nachlesen: Hier und hier und hier oder hier.

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