Samstag, 17. März 2012

Besuch bei "Lady Agnes"

Die Lady Agnes in Stölln (© Erik Nagel)

Heute haben mich meine Eltern besucht. Und weil das Wetter einfach wunderschön war, wollten wir nicht einfach nur zu Hause sitzen, sondern haben einen Ausflug nach Stölln unternommen. Wer das nicht kennt: Es ist ein kleines Örtchen ungefähr 25 Kilometer nördlich von Rathenow mitten in der weiten Landschaft des Havellandes.

Eigentlich hat Stölln nichts zu bieten - mit Ausnahme eines Flugplatzes, der nur eine lange festgefahrene Garsnarbe ist und den stolzen Titel "ältester Flugplatz der Welt" trägt, eines Museums zu Otto Lilienthal und eines IL-62-Passagierflugzeugs, das als Museum und Standesamt umgebaut in der Landschaft steht. Natürlich hat alles mit Otto Lilienthal zu tun, der in Stölln seine berühmten Flugversuche als erster Mensch mit einer Maschine schwerer als Luft unternahm und hier am 9. August 1896 so schwer abstürzte, dass er einen Tag später an den Folgen seiner Verletzungen starb.

Diese fliegerhistorische Vergangenheit ist es wert, dass man sich ihrer in Stölln erinnert. Darum gibt's das Museum zu Otto Lilienthal, den "ältesten Flugplatz", wo heute vor allem Segelflieger in die Lüfte steigen,  ein paar Denkmäler und Gedenksteine und eben die IL 62, "Lady Agnes" genannt, die 1989 der Gemeinde Stölln von der DDR-Fluggesellschaft Interflug geschenkt wurde.

(© Erik Nagel)
Und allein die Geschichte, wie das Flugzeug auf jenen Hügel im tiefsten Flachland Brandenburgs kam, ist so spannend wie mancher Hollywood-Blockbuster. Der damalige Interflug-Chefpilot Heinz-Dieter Kallbach entschloss sich nämlich, die Maschine direkt bei Stölln auf dem Gras zu landen. Allein das ist schon eine "verrückte Idee", wie er später selber sagte - ein Düsenjet ist nicht dafür gebaut, auf unebenem Gras und so zu landen. Vollends irre wird es aber, wenn man weiß, dass eine IL 62 normalerweise 2500 Meter betonierte Landepiste brauchte und in Stölln nur 900 Meter Gras zur Verfügung standen. Nicht zuletzt stand - bzw. steht - direkt vor dieser Graspiste ein Wald, der den Anflug zusätzlich erschwerte. Und wenn auch in der DDR aus Prestigegründen vieles möglich gemacht wurde - einen ganzen Wald abholzen wollte dann doch keiner.

Und dennoch: Am 23. Oktober 1989 wagte es Heinz-Dieter Kallbach und startete die IL 62 "DDR-SEG" zu ihrem letzten Flug von Schönefeld nach Stölln. Für die Zuschauer muss es spektakulär ausgesehen haben: Drei Mal flog Kallbach an, erst beim dritten Mal setzte die Maschine auf. Sah allerdings spannender aus, als es war: Die ersten beiden Anflüge waren nur Probe. Dennoch war das Risiko recht: Das Flugzeug rauschte ganz dicht über die Baumkronen heran, setzte dann sofort polternd auf und verschwand schließlich in einer riesigen Staubwolke - hochgewirbelter Sand kam in die Turbinen und wurde umgehend in die Gegend gepustet. Das war einkalkuliert, sogar, dass die Turbinen dabei so schwer beschädigt, dass sie anschließend nicht mehr zu gebrauchen wären. Aber Pustekuchen, russische Technik ist robust. Die IL 62 war danach immer noch so in Schuss, dass sie aus eigener Kraft an ihren heutigen Standort rollen konnte.

Da steht sie bis heute, ist zu einem Museum und einem Standesamt umgebaut wurden. Angeblich ist alles noch drin, was man zum Fliegen braucht; lediglich im Cockpit fehlt irgendein wichtiges Teil (was aber noch vorhanden sein soll), und eine Generalüberholung wäre nötig. Den heutigen Namen "Lady Agnes" trägt sie übrigens zur Erinnerung an Lilienthals Ehefrau Agnes.

Und als ich mit meinen Eltern heute da zu Besuch war, konnte ich mit meinem Wissen protzen. Allerdings kann ich es mir leisten: einige der Protagonisten von 1989 kenne ich heute persönlich, darunter auch Kallbach, der - was er aber nicht weiß - mich 2001, als er Pilot bei der Germania war, in den Urlaub nach Rhodos flog. Als ich ihn damals vom Flugsteig aus an der Maschine beim Check sah, war mir klar, dass wir sicher auf Rhodos ankommen würden. Wer einen Russenjet sicher auf einem Acker landen kann, für den stellt der Anflug auf eine Mittelmeerinsel natürlich keine Probleme dar.

Und wer einmal sehen will, wie das Flugzeug 1989 in Stölln ankam: Hier ein Video davon:


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