Montag, 9. April 2012

Mein Beitrag zum Grass-Bashing

Wenn es eine Debatte gibt, die in den vergangenen Tagen die Medien beherrschte, dann die um Günter Grass und sein komisches Gedicht "Was gesagt werden muss". Nicht nur die Zeitungen und die Fernsehsendungen sind voll davon, auch das Internet und die verschiedensten Blogs quellen förmlich über. Und nun der auch noch, könnte man bei diesem Post sagen. Aber ich habe eigentlich gar nicht vor, viel zu dem Gedicht zu sagen. Eher zu dem, was andere dazu meinen.

Günter Grass muss ja ganz schön viel Prügel für seine Zeiten einstecken. Ich verstehe es nicht so ganz, denn - das ist aber meine ganz persönlich Meinung - ich finde das Gedicht stilistisch blöd und inhaltlich schon beinahe infantil-naiv. (Wer es nicht kennt, hier kann man es noch mal lesen) Andererseits habe ich nur wenig Ahnung von Lyrik, von daher kann der Stil auch avantgardistisch sein. Neulich las ich einmal ein dadaistisches Gedicht, und dagegen ist Grass nun wirklich schon wieder gut. Und der Inhalt... sagen wir mal vorsichtig so: Ich habe am Stammtisch schon dümmeres Zeug gehört, ohne dass es zu Diskussionen führte, und andererseits beinhaltet es eine sagen wir mal kindliche Weisheit, die da lautet: "Krieg ist schlecht". Dafür muss man kein Literatur-Nobelpreisträger sein, um das zu schreiben, aber es ist auch nicht falsch. Bleibt noch die Frage, ob Grass mit seiner Einschätzung, wer am möglichen Krieg die Schuld trägt, Recht hat. Zumindest in einer Hinsicht hat er es meiner Meinung nach an den richtigen Adressaten gerichtet. Man appelliert in der Regel an den Vernünftigeren, und wenn man da zwischen iranischer und israelischer Staatsführung wählen muss, dann fällt wenigstens mir die Wahl leicht.

Öffentlich wird Grass jedoch als Antisemit gebrandmarkt. Viele Politiker und Intellektuelle melden sich lautstark zu Wort - umso lauter, je mehr sie Grass in der Vergangenheit bereits angegriffen haben, zum Beispiel Henryk M. Broder oder Marcel Reich-Ranicki, der seit seinem legendären (das meine ich ehrlich) Grass-Verriss von 1995 zu "Ein weites Feld" nicht mehr unbedingt zu den Grass-Freunden zählt (ironischerweise hieß dieser Verriss von damals "...und es muss gesagt werden"). Die umfassende und um sich greifende Kritik an Grass wird von anderen wiederum zum Anlass genommen, die Frage zu stellen, ob man Israel denn überhaupt nicht kritisieren darf, ohne gleich als Israel-Feind da zu stehen. Das wiederum ruft eine - vielleicht längst überfällige - Debatte hervor, wie wir Deutschen angesichts unserer Geschichte heute überhaupt zu Israel stehen, stehen sollen, stehen müssen oder stehen dürfen.

Ich denke, dass man Israel durchaus kritisieren darf und auch sollte. Kritik ist ein Recht, dass schwer erkämpft wurde und geschützt werden sollte. Es schützen bedeutet aber auch, verantwortungsbewusst mit diesem Recht umzugehen. Und da liegt nämlich meiner Meinung in diesem speziellen Fall der Hase im Pfeffer. Sowohl Günter Grass als auch seine Kritiker aus Deutschland haben nämlich eigentlich gar keine Ahnung, worüber sie sich gerade auslassen.

Bei genauerem Nachdenken fallen mir vielleicht noch mehr Leute ein, aber auf Anhieb komme ich nur auf drei Deutsche, die die Verhältnisse im Nahen Osten wirklich verstehen: Peter Scholl-Latour, Helmut Schmidt und Hans-Jürgen Wischnewski (und der ist schon tot). Ich habe auch viel zu wenig Ahnung davon, daher bin ich sehr vorsichtig, irgendeiner Partei im Nahen Osten die Schuld an der Gewaltspirale zu geben. Ich glaube, es kann heute überhaupt niemand mehr sagen, wann und wie der Streit angefangen hat, aber das ist denke ich auch nicht so wichtig. Wichtiger ist, dass er endet. Das nach fünfzig Jahren Krieg zu erreichen, ist aber das wirklich große Problem.

Und damit sind wir wieder bei Grass und seiner extrem naiven (und dadurch zwar einerseits richtigen, aber auch irgendwie falschen) Meinung, Israel bedroht den Frieden der Region, indem es seinen Gegnern, allen voran dem Iran, mit militärischen Erstschlägen droht. Er hat durchaus Recht mit seiner Warnung, den Iran vorsichtshalber anzugreifen, weil es da vielleicht Atomwaffen gibt. Der Westen hat bereits ein Land überrollt, weil dieses Land Massenvernichtungswaffen hatte, die es dann allerdings doch nicht hatte, und der CIA sagte: "'tschuldigung, haben wir uns wohl geirrt". Das soll sich nicht wiederholen, da wird mir sicherlich niemand widersprechen. Und ob Israel selbst Atomwaffen hat, wie Grass meint, oder nicht, weiß ich nicht, aber so oder so: Wird der Iran angegriffen, leidet in erster Linie das einfache Volk. Und auch da wird mir sicherlich niemand widersprechen.

Grass hat aber Unrecht, wenn er Israel zum Kriegstreiber erklärt. Es mag ja sein, dass Israel mit einem Präventivschlag droht, und es ist sehr leicht und einfach, dem Land dadurch den Schwarzen Peter zuzuschieben (Böses Israel, droht seinen Nachbarn mit Angriffen und bekommt dafür von Deutschland auch noch U-Boote...). Aber, wie im Tagesschau-Blog heute treffend zu lesen war, ist es sehr bequem, so aus dem sicheren Deutschland heraus zu argumentieren, das nicht immer wieder von anderen Staatschefs mit einem Krebsgeschwür verglichen wird, das herausgeschnitten werden müsste (hier nachzulesen). Es geht mir wirklich nicht darum, die unselige Diskussion darüber, wer angefangen hat, noch einmal zu beginnen - aber Israel ist seit seiner Entstehung von Feinden umgeben und musste sich immer wieder Bedrohungen stellen und Angriffen erwehren - manchmal auch mit Präventivangriffen. Ich glaube nicht, dass sich heute noch jemand aus Deutschland vorstellen kann, wie man lebt, wenn man buchstäblich jeden Tag mit Angriffen aus welcher Richtung auch immer rechnen muss. Wenn man sich das vor Augen führt, kann man eine gewisse Grundhärte sich selbst und anderen gegenüber zumindest ein wenig nachvollziehen. Und viele haben scheinbar auch schon vergessen, dass der Frieden in Europa zu Zeiten des Kalten Krieges auf einer sehr unsicheren Gleichung basierte: Dass nämlich beide Seiten wussten, dass die andere auch genug Feuerkraft hatte, den Globus dreimal in die Luft zu jagen. Wie hieß das doch gleich? "Atomare Abschreckung"?

Im Übrigen bin ich keineswegs der Meinung, Grass sei ein Antisemit. Auch nicht deswegen, wenn er sagt, jetzt kritisiere ich mal Israel, weil wir das bisher wegen der Vergangenheit nicht durften. Damit hat er nämlich leider durchaus Recht: Es ist in Deutschland ziemlich leicht, jedes beliebige Land der Welt von vorn bis hinten und von oben bis unten durchzukritisieren - mit Ausnahme Israels. Da wird jedes Wort sehr genau betrachtet - interessanterweise von den Deutschen am meisten! So eine Art freiwillige Selbstzensur. Das ist verständlich, die Schuld unserer Vergangenheit wird noch lange auf uns lasten. Diese Schuld sollte aber nicht zur Gewohnheit und zur lästigen Pflicht werden, sondern uns tatsächlich bewusst sein. Dafür müssen wir uns nicht ständig selbst kasteien oder jede Kritik an Israel als unangebracht ansehen bzw. den Kritiker verdammen.

Und auch die Diskussion um Günter Grass ist aus diesen Gründen meiner Meinung völlig überzogen. Hätte man einfach nur gesagt: Schlecht geschrieben, sehr naiv gedacht und recht einseitig, na ja, er ist eben alt... ich bin mir sicher, kaum jemand in der weiten Welt hätte auch nur irgendwie davon Notiz genommen. Aber da in unserem Land Gruppen-Bashing und Fremdschämen ja in ist und es außerdem zum guten Ton gehört, zu jedem Mist seinen eigenen Mist dazu zu geben und dann auf diesen Mist auch noch auf zu springen, braucht man sich ja nicht wundern, dass man dann ganz schnell einen Skandal zusammen hat.

Und damit habe ich jetzt meinen Mist auch noch zum Besten gegeben!

1 Kommentar:

RoM hat gesagt…

Die Lage im vorderen Teil des Orients läßt sich auf einen zentralen Fixpunkt reduzieren. Die Extremisten beider Seiten reichen sich die Hände über die Köpfe derjenigen hinweg, die dafür bluten dürfen. Denn bei aller zementierten Erzfeindschaft, sind sich die Radikalen jedweder Coleur darin einig, daß ein friedlicher Kompromis unter allen Umständen zu verhindern ist. Punkt!
Und...
Die alten Griechen wußten ihrer Zeit schon zu berichten, daß ein Idiot ein Idiot ist, Abseits der Hautfarbe, Religion, Herkunft oder politischer Ausrichtung. Auch dies ein einfach zu berücksichtigender Leitfaden.