Dienstag, 17. April 2012

Breivik - Der Tanz auf dem Vulkan

In Norwegen steht der Massenmörder Anders Behring Breivik endlich vor Gericht. Und ich beobachte etwas Erstaunliches: Fast in gleichem Maße, wie die Medien über den Prozess gegen den Rechtsradikalen berichten, stellen Journalisten ihre eigene Rolle in diesem Zusammenhang in Frage: In welchem Ausmaß sollen sie berichten? Welche Details sollen sie schildern, welche Bilder zeigen? Ab wann machen sie sich zu Komplizen Breiviks? Was ist von ihrem Auftrag gedeckt, die Öffentlichkeit zu informieren, was ist pure Sensationshascherei?

Ich denke recht viel über diese Frage nach, vor allem natürlich auch deswegen, weil ich vor ein paar Jahren auch als Journalist bei einer Zeitung gearbeitet habe, andererseits heute sozusagen auf der anderen Seite des Schreibtischs sitze und daher die Ansichten beider Seiten nachvollziehen kann. Ich habe in meiner aktiven Zeitungszeit durchaus oft überlegt, was ich veröffentlichen oder zeigen soll und was nicht. Es ging dabei aber nie um ein derart schwerwiegendes und aufwühlendes Ereignis, wie es gerade in Norwegen abläuft. Es fällt mir daher schwer, diese Frage auf einfache Weise zu beantworten. Es kommt mir wie ein Tanz auf dem Vulkan vor.

Auf der einen Seite ist so etwas eine Geschichte, von der jeder Journalist träumt. Es interessiert jeden, es lässt niemanden kalt, und egal was berichtet wird, es findet sich in jedem Fall jemand, der das konsumiert. Nur selten kann ein Journalist mit so viel Aufmerksamkeit für seine Arbeit rechnen. Auf der anderen Seite bietet er einem menschenverachtenden Psychopathen wie Breivik eine Bühne, seine kruden Thesen zu verbreiten. Die Abwägung dessen, bis zu welchem Maße man das als Journalist in Kauf nehmen kann und vor allem will, ist äußerst schwer. Darf man Breiviks provokantes Faustrecken, das schon an den Hitlergruß erinnert, zeigen oder nicht? Ich finde es verlogen, wenn es Medien gibt, die dann argumentieren: "Wir wollen es nicht, aber wenn wir es nicht tun, dann tut es ein anderer."

Genau so verlogen ist es aber auch, wenn ich in Foren und Blogs lese, wie die Medien für ihre Sensationslust in diesem Fall kritisiert werden. Verlogen deswegen, weil es solche Berichterstattung nicht gäbe, wenn sie sich niemand ansehen würde. Nehmen wir doch nur mal die BILD-Zeitung. Es gibt wohl kaum eine deutsche Zeitung, die einen derart schlechten Ruf genießt und so durchgehend abgelehnt wird. Mit derzeit rund 2,7 Millionen Stück täglich ist sie aber nach wie vor die auflagenstärkste Zeitung Deutschlands. Und - was in dem Zusammenhang noch wichtiger ist - wir reden hier nicht von Abonnenten! Man kann die BILD abonnieren, tatsächlich wird sie aber fast ausschließlich im Straßen- und Kioskverkauf unter das Volk gebracht. Mit anderen Worten, sie muss jeden Tag aufs Neue ihre Leser überzeugen. Der Weg, wie sie das tut, wird kritisiert - aber er hat Erfolg. Und nicht wenige ihrer größten Kritiker zählen gleichzeitig zu ihren regelmäßigsten Lesern. Das relativiert natürlich jede Kritik.

Wie ehrlich ist demnach sowohl Kritik als auch Selbstkritik der Medien, ob nun bei Breivik oder bei jedem anderen Fall auch? Ich meine, nicht sehr ehrlich, was aber nun nicht unbedingt böse oder ablehnend gemeint ist. Es ist vielmehr ein grundsätzliches Problem mit den Medien in Deutschland, das aber nur sehr schwer aufzulösen ist.

Journalisten und Medien genießen in Deutschland keinen besonders guten Ruf. Fragt man die Leute auf der Straße, wünschen diese sich von den Medien Unabhängigkeit, Ehrlichkeit und eine kritische, aber wahrheitsgemäße Berichterstattung. Doch schon mit der Unabhängigkeit und Unvoreingenommenheit sieht es schlecht aus. Dieser schlicht berichtende Journalismus mit purer Neutralität ohne Hang zur Tendenz kommt praktisch nur im Agenturjournalismus vor. Der hat allerdings ein entscheidendes Problem, das der Journalist Thomas Knüwer als "gedruckte Ödnis" bezeichnete. Das bedeutet umgekehrt: "Journalismus, der uns packt und mitreißt, ist nie neutral." Soll heißen, je mehr uns eine Berichterstattung fesselt und interessiert, um so weniger neutral und unvoreingenommen ist sie.

Heißt aber auch, dass der Journalist oder das Medium parteiisch ist. Das ist zum Teil sogar ganz verständlich und natürlich. Jedes Medium hat sein Klientel, das wiederum von seinem Medium eine bestimmte Erwartung hat. Die "taz" wird sicherlich kaum von Christdemokraten gelesen, und die Financial Times Deutschland bringt nur selten Meldungen für Anhänger der Linkspartei. Diese Einstellung zieht sich in Deutschland sogar bis auf die Ebene der einzelnen Journalisten herunter, was Knüwer so beschrieb: "Wir sehen, wie Journalismus in einer freien Demokratie sich zur Propaganda im Auftrag der Meinung eines Journalisten wandelt." (Knüwers kompletter Beitrag zum Thema ist hier zu sehen) Nicht selten haben Journalisten sogar ihre ganz persönlichen Lieblingsfreunde, denen sie jeden Gefallen tun, und ihre Lieblingsfeinde, auf die sie nur zu gerne medial einprügeln.

Für die Berichterstattung Breivik und das Infragestellen durch die Journalisten bedeutet das denke ich folgendes: Wenn sich Journalisten in diesem Zusammenhang fragen, ob und in welchen Umfang sie berichten sollen, dann überlegen sie also zunächst einmal, was ihre Konsumenten von ihnen erwarten, beantworten sich diese Frage aber aus ihrer eigenen Meinung heraus. Das ist nachvollziehbar, denn trotz allem geht es ihnen zunächst und vor allem darum, ihre eigene Arbeit und ihr Produkt zu verkaufen und am Markt zu halten. Das mag man als Gutmensch kritisieren und verdammen, aber das ist die Welt - keine Zeitung ist ein Wohlfahrtsverein, sondern eine Firma, die Geld verdienen muss! Also sieht der Journalist und das Medium in erster Linie  sich selbst und seine eigenen Belange. Inwieweit seine Arbeit diejenigen berührt und beeinflusst - auch in schlechter Sicht - über die der Journalist berichtet, interessiert zunächst nur am Rande (persönliche Befindlichkeiten spielen da auch eine große Rolle, auch wenn es nicht sein dürfte...).

Insofern hat die jetzt ausgebrochene Debatte über die Berichterstattung von Breiviks Prozess für mich eine neue Qualität. Auch wenn die Folgen und Lehren, die die Medienlandschaft daraus für sich zieht, wohl zunächst noch klein bleiben werden, ist es ein Fortschritt, dass dieses Mal wirklich überlegt wird, WIE diese Berichterstattung wirken kann. Wer sich noch an das Gladbecker Geiseldrama und die damalige Arbeit der Journalisten erinnert, wird mir zustimmen, dass wir diese Niederungen deutlich verlassen haben. Und wenn sich ein Journalist die Frage stellt, ob er mit seiner Berichterstattung aus Norwegen zum Komplizen für ein Scheusal wird, der die Berichterstattung der Journalisten als Teil seiner fürchterlichen Kampagne eiskalt einkalkuliert, dann sind wir einen Schritt weiter.

Ich halte es für richtig, über den Prozess zu berichten. Wir müssen aber nicht jedes grausame Detail haarklein geschildert bekommen. Wir dürfen von der Trauer der Hinterbliebenen erfahren; sie ist als Mahnung und Erinnerung wichtig. Niemand sollte aber zum Voyeur werden und diese Trauer nutzen, um Auflage zu steigern. Wir sollten vom Schicksal der Toten von Oslo und Utoya erfahren - aber mit Würde und Pietät und nicht aus Sensationslust. Und wir haben ein Recht zu erfahren, welche Strafe Breivik erhält. Kein Medium sollte sich aber zu seinem Sprachrohr und PR-Angestellten machen.

Wie jeder Journalist in Oslo diese Frage beantwortet und diese Aufgabe für sich selbst definiert und auslegt, liegt zunächst nur bei diesem selbst. Ich selbst kann das nicht auf einfache Weise beantworten. Und ehrlich gesagt bin ich froh, dass ich das auch nicht muss.

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