Freitag, 5. April 2013

Der Mann, der die Filme liebte - Roger Ebert

Roger Ebert (re., 1942-2013) und Russ Meyer
Als ich vor einigen Jahren noch als Zeitungsredakteur arbeitete, da machte ich auch Filmbesprechungen. Ich nutzte dafür neben dem Film nur ganz selten offizielles Pressematerial - meistens hatte ich das gar nicht. Statt dessen informierte ich mich im Internet, wo ich meine festen Quellen hatte, die ich immer wieder und gerne in Anspruch nahm. Zum einen natürlich die Internet Movie Database "imdb", für alle technischen Angaben, Besetzungen und dergleichen mehr rund um den entsprechenden Film. Des Weiteren eine Filmdatenbank, die an sich recht semiprofessionell aufgezogen war, aber einen exzellenten Zugang zu digitalisierten Promo-Bildern der Filme hatte und diesen auch zum Download anbot. Und zu guter Letzt die Website von Roger Ebert, dem großen Filmkenner, -experten und -kritiker. Seine Besprechungen las ich immer mit Genuss; er brachte mich häufig auf Details, die ich in den Filmen übersehen hatte - und er hatte nicht nur einen Sachverstand, sondern eine Begeisterung für Filme, die ich bei keinem anderen "Kritiker" jemals so erlebt habe. Am 4. April 2013 ist Roger Ebert im Alter von 70 Jahren seiner langjährigen Krebserkrankung erlegen.

Ich mag Filmkritiker eigentlich nicht. Ich habe keine Lust, mir von selbsternannten Experten sagen zu lassen, welcher Film schlecht ist oder nicht, nur weil der oder diejenige meint, jetzt Kunstanspruch heraushängen lassen zu müssen, weil man das eben von einem "Filmkritiker" erwartet. Es gibt nur zwei Ausnahmen von dieser Regel. Die eine ist ein persönlicher Freund von mir, die andere Roger Ebert. Beiden gemein ist ein großer Sachverstand und Allgemeinwissen rund um Filme sowie eine echte Begeisterung für das Medium Kino. In Roger Eberts Nachruf in der Chicago Sun-Times liest sich das so: "Roger Ebert loved Movies. Except for those he hated. (Roger Ebert liebte Filme. Ausgenommen die, die er hasste.)"

Die Kollegen in der Chicago Sun-Times mussten es wissen. 46 (!) Jahre lang schrieb Ebert ununterbrochen Filmbesprechungen für diese Zeitung. 31 Jahre lang moderierte er Filmmagazine. Lange Jahre tat er das mit seinem kongenialen Partner Gene Siskel - den beiden verdankt die Filmindustrie das Qualitätsprädikat "Two Thumbs up (zwei Daumen hoch)." Wie viele Kritiken er schrieb und wie viele Filme er sah, weiß vermutlich niemand genau. Es sollen um die 280 pro Jahr gewesen sein - und Klassiker wie "Citizen Kane" oder "La Dolce Vita" sah er vermutlich bis zu 50 Mal. Seine Kritik zu "Die Nacht der lebenden Toten" von George A. Romero wurde im "Readers Digest" abgedruckt. 1975 erhielt er - als erster Kinokritiker überhaupt - den Pulitzerpreis. Vielleicht die schönste Ehrung überhaupt: 2009 ernannte ihn die Directors Guild of America, die einflussreiche amerikanische Regisseurs-Gewerkschaft, zu ihrem Ehrenmitglied.

Dabei hat Ebert nur eines getan - und das hat mir so sehr an ihm imponiert, das merkte man all seinen Besprechungen an, das unterscheidet ihn von so vielen anderen Wichtigtuern in der Branche: Er hat nie versucht, seine Leser oder Zuschauer zu belehren oder mit seinem Wissen zu beeindrucken. Er hat immer nur geschrieben und gesagt, was er von den Filmen hielt. Er wurde einmal gefragt, welches sein "favorite movie", also sein Lieblingsfilm sei. Er zitierte dann seinen Kollegen Siskel, der diese Frage so beantwortete: "Wie wir alle wissen, lautet die Antwort immer 'Citizen Kane'." Es sei die offizielle Antwort, fügte Ebert hinzu - die Frage, welches der beste Film überhaupt ist, hat er nach Möglichkeit immer vermieden zu beantworten: "Lasst uns darin übereinstimmen, dass alle Filmlisten Unsinn sind." Nur in ganz seltenen Fällen stellte er seine wichtigsten oder besten Filme zusammen - und legte dann ganz besonderen Wert auf die Feststellung, dass diese Liste alphabetisch geordnet war.

Roger Ebert liebte Filme - und er hat nie vergessen, dass er für das Publikum schrieb. "Wenn du einen Freund fragst, ob 'Hellboy' ein guter Film ist, dann willst du nicht wissen, ob er im Vergleich zu 'Mystic River' gut ist, sondern ob er im Vergleich zu 'The Punisher' gut ist", erklärte er einmal seine Herangehensweise. So entstanden seine Sternewertungen, bei denen er den Film danach einschätzte, was er für die Zielgruppe bedeutete. Das konnte dann zu solch merkwürdigen Fällen führen, dass er Filmen von Adam Sandler zwar drei von vier möglichen Sternen gab (eben weil der Film seinen Fans das bot, was diese erwarteten), er trotzdem in seiner ausführlichen Besprechung davon abriet, sich den Film anzusehen. Er hielt auch nichts davon, seine Leser mit seiner fachlichen Reputation, akademischen Graden oder Preisen zu beeindrucken, ganz im Gegenteil. Als ein Kritikerkollege den Film "Deuce Bigelow II" verriss, erwiderte Hauptdarsteller Rob Schneider, ein Kritiker ohne Pulitzerpreis wäre nicht qualifiziert genug, seinen Film zu besprechen. Dann wäre er ja wohl qualifiziert, verkündete Ebert öffentlich: "Dein Film ist Schei***!"

Auch das konnte er - Filme schlecht bewerten. Aber er tat es auf seine eigene Weise: Scharfzüngig, pointiert und selbst witzig. "An Alan-Smithee-Film: Burn, Hollywood, Burn" attestierte er: "Der einzige Weg, diesen Film zu retten, ist ihn um 86 Minuten zu kürzen." (Der Film läuft insgesamt 86 Minuten). Zu "Die Windelgang" meinte er, wenn er statt einer Besprechung ein Gedicht abschreiben würde, wäre alle glücklicher: "Aber ich zieh das jetzt durch." Und zu Rob Reiners "North" führte er deutlich, mehr als deutlich aus: "Ich hasse diesen Film. Hasse, hasse, hasse, hasse, hasse diesen Film. Hasse ihn." Und das war noch nicht einmal seine schlechteste Wertung - dem üblen Horrormachwerk "Human Centipede" verweigerte er sogar eine Sternewertung: "Der besetzt eine Welt, wo die Sterne nicht scheinen."

Auf jeden Fall hat er aber immer SEINE Meinung dargestellt. Er biederte sich nie an, schrieb nie eine Bewertung, weil man das von einem Kritiker nun so erwartete, und war sich nicht einmal zu fein dazu, seine Meinung zu ändern. Er mochte "Stirb langsam" nicht besonders und fand "Der Pate III" besser als "Der Pate II". "Der Blade Runner" erhielt von ihm zunächst eine schlechte Wertung, die er einige Jahre später änderte und seine ursprüngliche Meinung als "Fehler in meinem eigenen Geschmack" bezeichnete. Er war ein riesiger Fan von Werner Herzog und zählte dessen "Aguirre" zu seinen zehn besten Filmen aller Zeiten, schrieb als junger Mann aber auch Drehbücher für Schmuddelfilmer Russ Meyer - wer sonst wusste also besser, wie Kino funktionierte, und wer sonst konnte sich wohl besser in die Kinozuschauer und damit eben auch in die Leser seiner Kolumnen hineinversetzen?

Roger Ebert wusste, wovon er schrieb. Er liebte das, warüber er schrieb. Er war besessen vom Kino, und er vermochte diese Besessenheit wie kein anderer mit seinen Lesern zu teilen. Die Welt hat mit ihm einen der größten, wenn nicht den größten und bedeutendsten Filmkritiker verloren. "Wir sehen uns im Kino", war sein letzter Gruß an seine Leser.

1 Kommentar:

RoM hat gesagt…

Wahrlich - die eigene Meinung in seine Filmkritik einfließen zu laßen bleibt essenziell. Eine konträre Einschätzung ist mir stets willkommener als vorgebliche "Objektivität". Der Einwurf, eine Besprechung sei allzu subjektiv geraten, wirkt wie ein rotes Tuch auf mich.
Sorry - ich bin nicht abgestumpft genug, um eine objektiv erscheinende Rezension zu schreiben.
Hier liegt wohl einer der Gründe begraben, warum meine letzte Filmkritik bald 1 Jahr zurückliegt...

Roger Ebert selbst habe ich nie gelesen, kann seinen Stil also wenig einschätzen. Aber mit seiner Grundeinstellung zur Kunstform "Film", wie deren Einschätzung (subjektiv!), stehe ich auf einer Linie.

"Objektivität ist subjektiv", sagte schon Woody Allen.