Dienstag, 19. Juli 2011

Wie gut geht’s uns eigentlich?

Welche Probleme haben wir? Und sind das wirkliche Probleme? Was ist wichtig, was nicht? Und wie wichtig ist es wirklich?

Da beschwert sich jemand bei einer Zeitung öffentlich darüber, dass Fahrschüler im Fahrunterricht vor seinem Haus das Einparken üben und damit sein Auto, das dort steht, gefährden. Und als sei das nicht schon schlimm genug, nein: Es kommen sogar Fahrschulen aus dem Nachbarort…

In Sachsen laufen Eltern und Schüler dagegen Sturm, dass die Schüler, sofern sie das Abitur ablegen wollen, eine zweite Fremdsprache lernen müssen, und das – aufgrund fehlender Lehrer oder mangelnder Kapazitäten – mitunter nicht in der gewünschten, sondern in einer anderen. Vor allem die aus dem Westen zugezogenen Eltern haben überhaupt kein Verständnis dafür, dass diese zweite Fremdsprache dann oft Russisch ist…

Berufspendler, die die Bahnstrecke zwischen Cottbus und Berlin nutzen, verlangen jetzt eine Entschädigung von der Bahn. Der Grund: Die Bahnstrecke wird gerade komplett saniert, und wegen Diebstählen und anderen Pannen verzögern sich die Bauarbeiten. Und weil der Schienenersatzverkehr – wohlgemerkt: die Leute kommen jeden Tag an ihr Ziel! – etwas länger dauert als die Bahnfahrt, geht ihnen „Lebenszeit verloren“…

Beim neuen Berliner Großflughafen – also der Flughafen der Möchtegern-Weltmetropole Berlin – ist es mittlerweile egal, welche Flugroute beim An- und Abflug vorgeschlagen wird. Es gehen in jedem Fall Leute auf die Straße, die sich vom drohenden Fluglärm und der Gefahr durch überfliegende Flugzeuge gestört fühlen werden. Sogar in 50 Kilometer entfernten Orten regt sich Widerstand. Dass der neue Flughafen direkt neben einem entsteht, auf dem seit 1947 Flugbetrieb herrscht, spielt dabei keine Rolle…

Der gleiche Flughafen wird übrigens zwei Andachtsräume haben: Einen für alle, und einen nur für Christen. Ursprünglich sollte es nur einer für alle sein, aber das wollten die christlichen Kirchen nicht. Die bestanden so sehr auf ihren eigenen, dass sie sogar damit drohten, überhaupt nicht mit dem Flughafen kooperieren zu wollen…

Bis vor kurzem war Kinderlärm eine Beeinträchtigung nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz. Deswegen mussten Kindergärten nach Beschwerden von Nachbarn geschlossen werden…

Wenn ein Hartz-IV-Empfänger mit einer Leistungsverweigerung durch das Amt nicht einverstanden ist, zieht er vor das Sozialgericht. Zehntausende Fälle liegen dort auf Halde. Die Kosten, die der entsprechende Empfänger dafür aufbringen müsste, übernimmt der Staat – Beratungsschein und Prozesskostenhilfe heißen die Zauberworte, gewährt werden sie von den jeweiligen Amtsgerichten. Verweigern die Amtsgerichte dieses wegen Aussichtslosigkeit der entsprechenden Klage, zum Beispiel, weil sie von der gleichen Person zum zehnten Mal oder so eingereicht wird, wird eben das Amtsgericht verklagt – natürlich mit Prozesskostenhilfe und Beratungsschein. (im Übrigen rechnen Experten mit einem sprunghaften Anstieg der Klagen vor den Sozialgerichten in Zusammenhang mit dem Paket „Bildung und Teilhabe“ und hier wiederum mit dem darin gewährtem kostenfreiem Schulbusverkehr für Kinder aus entsprechenden Familien. In der Richtlinie heißt es nämlich, dass dieser kostenlose Transfer bis zur „nächstgelegenen Schule“ gesichert wird. Und nun werden viele Eltern mit Maßband und Stoppuhr vor Gericht nachweisen, dass ihre Wunschschule die nächstgelegene sein wird…)

In Wohngebieten an Nebenstraßen beschweren sich Anwohner immer wieder über Ortsfremde, die dort rasen würden. Mit Bürgerinitiativen und Unterschriftensammlungen wird dann die Polizei zu Geschwindigkeitskontrollen aufgefordert. Wird dann wirklich kontrolliert, messen die Beamten in der Regel zu 90 Prozent die Anwohner als die zu schnell Fahrenden und müssen sich anschließend als „Abzocker“ beschimpfen lassen…

Bis hin zum Landesumweltamt ging die Beschwerde eines Mannes in einer Kleinstadt. Auf sein Betreiben hin wurden umfangreiche Lärmschutzmessungen vorgenommen. Der Grund: Die Klimaanlage des Kühlraums eines Supermarkt, der gegenüber vom Haus des Mannes steht, auf der anderen Seite der Bundesstraße, war dem Mann zu laut…

Mit einer neuen Geschäftsidee verdient sich eine junge Frau nahe Berlin ein nettes Zubrot. Sie verkauft „Fünf-Sterne-Futter“ für Hunde, ohne Getreide und mit hohem Fleischanteil. Handelsübliches Futter sei schlecht für Hunde und verursache Allergien und Unverträglichkeiten – immerhin ist der Hund ein Wolf und sollte nicht „vegetarisch“ ernährt werden…

Und andererseits…

Im Tagesspiegel steht heute ein Bericht über die Fidschi-Inseln, die infolge der Klimaveränderung im Meer versinken. Was hier ein akademischer Streit ist, geht den Leuten dort, die zusehen können, wie das Meer über ihre einstigen Häuser oder Gärten schwappt, an die Existenz…

Bei der schlimmsten Dürre-Katastrophe seit 60 Jahren sind in Nordafrika zehn Millionen Menschen (!) akut vom Hungertod bedroht.

Und nicht zuletzt gibt es da noch Narayanan Krishnan, einen indischen Koch, der Küchenchef in einer Fünf-Sterne-Hotelkette war und in der Schweiz einen Elite-Job annehmen sollte… bis er bei einem Tempelbesuch in seiner Heimat einen Bettler dabei beobachtet, wie der seine (Entschuldigung) eigene Scheiße aß. Innerhalb einer Woche hatte Krishnan seinen Job gekündigt und versorgt seit 2003 mit einer von ihm gegründeten Hilfsorganisation täglich um die 400 Bettler und Obdachlose. Er steckt seine ganzen Ersparnisse in das Projekt, sammelt Spendengelder und ist glücklich mit dem, was er tut…

Ich finde, uns geht es hier sehr, sehr gut… Wir wissen oft gar nicht, wie gut.

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