Und wieder einmal habe ich diesen Blog vernachlässigt. Dieses Mal habe ich zumindest für die ersten zwei bis drei Wochen eine Entschuldigung. Sie heißt: "Juni-Hochwasser 2013". Das hatte durchaus auch für mich einige Auswirkungen, wenn auch nicht in Form von nassen Kellern oder überfluteten Straßen. Trotzdem - für einige Zeit bestand auch für meine jetzige Heimat die Gefahr, und die führte dazu, dass ich eine Woche lang Dienst in einem Katastrophenstab machte.
Nun haben ja die meisten Menschen eine gewisse Vorstellung davon, wie es in einem Katastrophenstab zugeht. Heldenhafte Kerle und Frauen fällen in Sekundenschnelle Entscheidungen über Leben und Tod, über Computer-Monitore flackern Diagramme und Karten, aus Lautsprechern schallen Augenzeugenberichte, und wie weiland bei Cäsar, Napoleon oder Blücher werden Einsatztruppen dorthin geschickt, wo sie gebraucht werden, während allgemein eine "No retreat, no surrender!"-Mentalität vorherrscht, bis es irgendwann stolz heißt: "Mission accomplished!"...
Vergesst es. So läuft das nicht.
Das große Glück dieses Hochwassereinsatzes zumindest für unsere Gegend bestand darin, dass das Unglück ausblieb, wenigstens in großen Teilen. Aber die Gefahr bestand. Wer die Nachrichten dieser Tage aufmerksam verfolgt hat, der wird sich vielleicht an Schlagzeilen wie "Havelpolder geflutet!" und vor allem "Deichbruch bei Fischbeck" erinnern. Nun, das erste betraf meine Gegend durchaus, und das zweite hätte uns treffen können. Aber die Polderflutung war eine gezielte Maßnahme, das gewollte Überfluten eingedeichter Flächen, um das Elbewasser aufzunehmen, und zwischen Fischbeck und uns lagen mehrere Kilometer Entfernung und Höhenzüge... Wir musste aber die Sache im Auge behalten.
Und da begann nun die eigentliche Crux der Geschichte. Um die Sache im Auge zu behalten, braucht man Informationen. Die in einer solchen Lage zu bekommen ist sehr schwer, das haben wir im Stab sehr schnell mitbekommen. Der Fischbecker Deichbruch zum Beispiel... Der ereignete sich trotz der räumlichen Nähe in einem anderen Landkreis und einem anderen Bundesland. Und der dort tätige Krisenstab hatte aufgrund der geografischen Gegebenheiten keinerlei Chance mehr, das Unglücksgebiet direkt zu erreichen. Ergo erhielten wir von dort kaum aussagekräftige und verlässliche Informationen (auf Nachrichten aus der Bevölkerung konnte man sich nicht verlassen, wie wir irgendwann feststellten). Die brauchten wir aber für unsere Arbeit, und so griffen wir schließlich zu einem scheinbar altertümlichen Trick.
Von uns aus kam man nämlich bis zuletzt ganz einfach ins Katastrophengebiet. Und so schickten wir mehrmals am Tage Teams in geländegängigen Fahrzeugen los, die sich vor Ort ein Bild der Lage machen sollten. Wir wussten so immer recht genau, wo das Wasser steht, wohin es fließt, wie schnell es ist. Darauf aufbauend und mit unseren Höhenkarten - die zum Glück recht genau waren - konnten wir unsere Maßnahmen planen: Hier einen Notdeich errichten, dort Sandsäcke zum Befüllen bereit halten... Es zeigte sich, dass unsere Maßnahmen erfolgreich waren: das Unglück verschonte uns.
Andere hatten das Glück nicht. Und das waren für uns im Stab schwierige Momente: Wenn wir die Fotos, die unsere Späher machten, betrachteten. Wir sahen solide Bundesstraßen, die vom strömenden Wasser weggerissen wurden, einfach nicht mehr da waren. Wir sahen einen soliden Bahndamm, über und durch den das Wasser scheinbar mühelos marschierte. Wir sahen menschenleere Orte, die von ihren Bewohnern bis zuletzt verteidigt wurden und dann doch aufgegeben werden mussten. Und wir erfuhren, wohin und in welcher Geschwindigkeit das Wasser floss, ohne direkt helfen zu können. Statt dessen erlebten wir hautnah die Verzweiflung und die Entmutigung von Bevölkerung und Einsatzkräften mit, wenn sie wieder einmal eine Schlacht gegen das Wasser verloren hatten.
Das zu realisieren war schwer, sehr schwer. Und es führte dazu, dass sich im Stab eine Art Galgenhumor entwickelte, den man hier unmöglich wiedergeben kann - er klingt aus dem Zusammenhang gerissen herzlos.
Aber nun noch mal zur Frage, was dann so ein Katastrophenstab wie unserer überhaupt tut. Informationen sammeln und daraus Entscheidungen zu treffen, das kann doch nicht alles sein, oder? Stimmt, aber so ein Stab macht auch andere Sachen, die niemand so recht bemerkt und für die er keine Anerkennung bekommt, die aber sehr wichtig sind.
So waren bei uns etwa 1.000 Einsatzkräfte - Feuerwehren aus allen Teilen Deutschlands, Bundeswehrsoldaten, THW - gesammelt, die bei unseren Nachbarn, dort wo es wirklich haarig war, im Einsatz waren. Die mussten untergebracht und verpflegt werden, die mussten - das klingt jetzt profan, aber denkt mal drüber nach - tanken. Das hat unser Stab gemanagt. Niemand hat 500.000 Sandsäcke oder ein paar hundert so genannte Big Bags auf Halde zu liegen, um sie dann dorthin zu bringen, wo sie gebraucht werden - wir auch nicht. Aber wir wissen, wo sie liegen und wie man sie transportiert. Unser Stab war derjenige, der bei entsprechenden Firmen Aufträge zum Bau von Notdeichen ausgelöst und der die Rechnungen dafür bezahlt hat (ihr glaubt doch nicht, dass diese Firmen das trotz Katastrophe für lau machen?). Und unsere Sternstunde war die, als wir an einem Tag gegen drei Uhr morgens die Anfrage erhielten, ob wir etwa 1.500 Evakuierte aufnehmen können. Innerhalb kürzester Zeit hatten wir zu dieser unchristlichen Zeit alle Voraussetzungen dafür geschaffen, wir hätten die meisten dieser Menschen nicht mal in Turnhallen und ähnlichen Notquartieren untergebracht, sondern in Wohnheimen oder so. Wir waren schon ein wenig stolz darauf, dass wir das geschafft haben.
Dass dann niemand kam, steht auf einem anderen Blatt.
Wir hatten also durchaus unser Tun, auch wenn davon niemand so recht eine Vorstellung hat, was da im Einzelnen abgeht. Und ich war mittendrin. Eine ganze Woche lang, jede Nacht von acht bis acht, an zwei Tagen auch am Vormittag. Unabhängig davon habe ich mich auch jeden Tag zwei bis drei Stunden um meine "normale" Arbeit gekümmert. Von 12 bis 17 Uhr habe ich versucht zu schlafen, und dann ging's weiter. Dass ich während dieser Zeit dann keinerlei Laust hatte, auch noch zu bloggen, lässt sich glaube ich nachvollziehen.
Interessanterweise hält mich das Ganze jetzt immer noch auf Trab. Beim Bio-Rhythmus ist bis auf den heutigen Tag immer noch etwas gestört, und wenn ich mir überlege, was in dieser einen Woche alles zu Hause liegen geblieben ist... Mann o Mann.
Gelitten hat darunter wieder einmal mein Blog, aber nun denke ich, dass ich wieder einigermaßen auf dem Damm bin und mich ihm wieder etwas mehr widmen kann. Die Katastrophe ist vorbei, und sie hat uns hier nicht erreicht. Zum Glück. Was ich aus den Nachbarkreisen miterlebt habe, wo Häuser bis zur Dachkante im Wasser standen, wo Straßen und Bahnlinien kaputt oder sogar zerstört sind... ich bin froh, dass uns das nicht erreicht hat. Und ich bin ein kleines bisschen stolz, dass ich einen wenn auch bescheidenen Beitrag dazu geleistet habe, die Auswirkungen zu mindern.
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