Ich hab keinen Schatten mehr...

Bis vor kurzem war die Straße, in der ich wohne, da wo ich wohne sehr dunkel. Um nicht zu sagen, es war hier zappenduster. Und das, obwohl genau hier eine Straßenlampe steht. Die hatte nur einen Fehler: Genau vor ihr stand eine Konifere, die, sorgsam gepflegt, zu beeindruckender Größe heranwuchs. So lange ich hier wohne, stand der Prachtbaum genau vor dieser Lampe und sorgte für effektiven Schatten. Es gab Freunde, die mich mit der Taschenlampe in der Hand besuchten, weil es wegen des Baums genau vor meiner Hoftür so dunkel war wie im Universum zwei Stunden vor dem Urknall.

Dann allerdings hackte der Nachbar, dem der Baum gehörte, denselben um. Die Gründe kenne ich nicht, aber ich nehme an, er wurde freundlich dazu gedrängt. Schließlich fiel nicht nur mir die Finsternis an dieser Stelle der Straße auf. Kann aber auch sein, dass er einen Hinweis vom Energieversorger bekam. Wenn ja, dann sicherlich berechtigt: Als er mit einem schweren Trecker versuchte, die Wurzel des Baumes aus der Erde zu rupfen, schwankte die Straßenlampe bedenklich, weil die Wurzeln schon unter ihr entlang wuchsen.

Im Übrigen habe ich bei dieser Aktion zum ersten Mal einen schweren Trecker gesehen, dessen große Antriebsräder durchdrehten, ohne dass sich das Teil bewegte. Erinnerte an ein Monster-Burn-Out. Beeindruckender Anblick.

Und nun ist der Baum weg. Damit auch der Schatten. Es ist jetzt schön hell bei mir an der Straße, und niemand braucht mehr eine Taschenlampe, wenn er mich besuchen will. Trotzdem bin ich nicht begeistert. Denn wie ich erst jetzt - also ohne Baum - bemerke, ist die Lampe genau so hoch wie mein Schlafzimmerfenster, was bedeutet, dass es sie mir jetzt - also ohne Baum - direkt ins Schlafzimmer strahlt.

Und wer mich kennt und daher weiß, wie schlecht ich schon bei Vollmond trotz herunter gelassener Jalousie schlafe, kann vielleicht erahnen, wie sehr mich die Lampe jetzt nervt - also ohne Baum.